Unser erster Konferenz-Beitrag!

Bei kultur.nachhaltig.leben von EDUCULT und der UNESCO.

Was bedeutet die Klimakrise für unser Kulturerbe?

Ein heller Raum im Wiener Museumsquartier. Viele Menschen, einige bekannt, die meisten nicht. Stimmengeplätscher, neugieriges Warten auf den Beginn.

„Ein lebenswertes und zukunftsfähiges Zusammenleben von Menschen im Einklang mit der Natur beschäftigt uns angesichts der Klimakrise, zunehmenden gesellschaftlichen Spaltungen und globalen Kriegsgeschehen auf vielerlei Hinsicht. Es wird immer bedeutender, über bestehende Systeme, die nur bedingt funktionieren, hinauszudenken und neue, kreative Wege im gesellschaftlichen Miteinander anzugehen.

Dabei setzt sich nicht zuletzt durch jüngste Forschungen die Erkenntnis durch, dass die Auswirkungen von Kulturerbe und kulturellen Praktiken auf Regionen und die Menschen vor Ort nicht nur wirtschaftliche, sondern auch weitgehende soziale, ökologische und kulturelle Dimensionen haben.

Zur Konferenz laden wir herzlich Bildungspartner*innen, Kulturschaffende, Entscheidungsträger*innen und Interessierte zum gemeinsamen Austausch ein. Wir beleuchten dabei praxisbezogen die Bedeutung von Kunst und Kultur als fundamentale Säulen von Gesellschaftsentwicklungen und treten mit Wiener Akteur*innen und Creator*innen in Dialog, die sich in ihrer Arbeit bereits der Wechselbeziehung zwischen Kultur(erbe) und Nachhaltigkeit widmen.“ (https://educult.at/veranstaltungen/kultur-nachhaltig-leben/, Zugriff am 22.11.2023)

Sechs Stunden beschäftigten wir uns heute mit der Frage, was Kulturerbe in dieser Zeit bedeuten kann, in der sich so viel ändert. Ändern muss, wenn unsere Zivilisation nicht zusammenbrechen soll. Ändern kann, wenn wir all die Chancen ergreifen, die wir haben—Chancen auf ein schöneres Leben.

Und für uns war es der erste bezahlte Konferenz-Beitrag der flourishing society. Die Anfänge davon reichen einige Jahre zurück.

Wie wir hierher kamen

Im Jänner 2020 begann EDUCULT das Projekt "Social Platform for Holistic Heritage Impact Assessment“, kurz SoPHIA. Dabei wurde ein Modell entwickelt, das zur Abschätzung von Folgen der Klimakrise und möglicher Interventionen im Kontext des kulturellen Erbes verwendet werden kann.

Im Juni 2022 nahm ich das erste Mal bei der Konferenz „Unsere Kultur geht auf keine Kuhhaut“ an der Angewandten teil, die Michael Wimmer gemeinsam mit EDUCULT dort jährlich (aber immer mit anderen Namen) organisiert, um zu erkunden, wie Künstler*innen und Kultur-Institutionen zur Transformation der Gesellschaft beitragen können. Gloria Benedikt hatte mich eingeladen, mit der wir vergangenen Oktober bei der Theaterproduktion „Was Wir Wollen“ kooperierten, die u. a. vom IIASA organisiert wurde. Diese war das erste Eco-Theatre in Österreich. Ihr habt es vielleicht schon ein paarmal gesehen, aber hier ist noch einmal der Link zum Video, das Moritz davon gemacht hat. Ich finde es einfach so gut! Lustigerweise ergab sich das nur, weil wir 2021 bei Fridays for Future mit dem Wiener Volkstheater ein Projekt hatten und Gloria so auf uns aufmerksam wurde. Und das wiederum entstand nur, weil eine Gruppe von jungen Menschen nach einer Vorstellung dort Calle Fuhr angesprochen hatten. So viel zu Gelegenheiten und so.

Das nächste Jahr jedenfalls nahm ich wieder an der Angewandten teil, und so lernte ich Aron von EDUCULT kennen. Es ist einfach schön, zu sehen, dass viele Menschen sich auf ihre jeweils eigene Art mit diesen Themen befassen, die uns bei der flourishing society so wichtig sind. Einmal wurde ich bei einem Start-up Event gefragt, wie wir denn mit Konkurrenz umgingen. Ich wusste zuerst nicht, was gemeint war. Die Aufgabe, zu der wir beitragen wollen – die Änderung der gesellschaftlichen Narrative – ist so groß, es braucht uns alle dafür.

Neue Kulturen erkunden

Und nun war ich dort, im Raum D im MQ. Aron von EDUCULT und der Präsident der österreichischen UNESCO-Kommission, Mag. Martin Fritz, eröffneten die Veranstaltung gemeinsam mit Bettina Leidl vom MuseumsQuartier. Es folgte ein Gespräch über mögliche Beiträge von Kultur zur Transformation, das bereichert wurde, durch Perspektiven, die eine globale Sichtweise in diesen Wiener Raum brachten.

Was ist Kultur überhaupt? Duden definiert es so: Die „Gesamtheit der geistigen, künstlerischen, gestaltenden Leistungen einer Gemeinschaft als Ausdruck menschlicher Höherentwicklung.“ Eine andere Definition, die ich in der Vorbereitung meines kurzen Beitrags dort fand, war, erfrischenderweise: „How we do things around here.“

Es gibt also die Komponente der gesellschaftlichen Praktiken und die der Artefakte, die sich daraus ergeben. Das kann dann alles Mögliche sein: Von Gemälden und Symphonien bis hin zu Arbeitsstrukturen und öffentlichem (oder privatem) Verkehr. Zukunftsfähigkeit wird damit zu einer essenziell kulturellen Frage: how we do things und was wir dadurch herstellen ist, was die Klimakrise verursacht – und was die Transformation gelingen lassen kann.

Kultur ist also etwas, das uns eine Grundlage gibt, die Welt zu interpretieren und in ihr zu handeln. Als ich den Raum im MQ betrat, sah ich dort Reihen von Sesseln, einige Stehtische vorne bei einer Beamer-Wand und Mikrofone. Und Menschen natürlich. Ich wusste sofort im Groben, was zu tun ist, denn ich kannte solche Settings schon. Sie sind Teil des kulturellen Erbes, das ich empfangen habe. Sie sind schon da, bevor ich den Raum betrete. Kultur ist schon da, bevor wir beginnen, über etwas nachzudenken. Etwas, wie die Klimakrise zum Beispiel.

Das International Science Council hat 2020 in einer perspektivischen Publikation Bedingungen von Systemen dargestellt. Auf Eben der Resultate: Gesetze, Ressourcen-Flüsse. Als Grundlage: etwas, das sie „Denkweisen“ nennen.

Donna Haraway sieht es so:

“It matters what stories we tell to tell other stories with; it matters what concepts we think to think other concepts with.“

Wir brauchen also neue Kulturen. Einige Menschen, die solche bereits ausprobieren, wurden in Folge vorgestellt:

  • Julianna Fehlinger vom MILA Mitmach-Supermarkt, einem genossenschaftlich organisierten Nahversorger und

  • Lisa Rathmanner von Reworked – einer Schneiderei, die keine neu produzierten Stoffe verwendet, weil „es ist schon alles produziert worden, was man braucht.“

Nach der Mittagspause ging es in Kleingruppen. Zu einer davon gab ich einen kurzen Anfangs-Input. Es ging in der Gruppe um Lebensqualität und Kultur. Hier ist der Rest meines Beitrags – den Beginn über Definition und Rolle von Kultur habt ihr schon gelesen.

Neue Geschichten verkörpern – neue Kreationen fördern

Die Klimakrise.

Ich frage mich, woran Sie denken, wenn Sie das hören. Gut möglich, dass es mit Verzicht zu tun hat. Mit Härten. Mit Verlust. Das sind alles Perspektiven auf Veränderung. Aber es gibt noch mehr. Wir alle haben gute Gründe für alles, was wir tun: unsere menschlichen Bedürfnisse. Wie wir glauben, dass wir diese Bedürfnisse erfüllen können, hängt davon ab, was wir schon kennen. Die Einstellungen, die wir angenommen haben. Die Bilder, die wir gesehen haben. Die Geschichten, die wir uns erzählen. Die Kultur, mit der wir uns umgeben und deren Teil wir werden.

Lassen Sie mich einige solche Geschichten, auf die wir in unserer Arbeit gestoßen sind, etwas überspitzt nennen:

Glück ist Besitz und Status. Menschen sind egoistisch. Die Natur ist nur eine Ressource.

Das erste Zitat  können Sie in einem beliebigen Werbefilm hören. Das Zweite: haben Sie Herr der Fliegen gelesen? Als Psychologie-Student hoffe ich nicht. Das Dritte könnte laut dem Harvard-Literaturwissenschafter Martin Puchner mindestens vor 5000 Jahren mit dem Gilgamesh-Epos entstanden sein.

Wenn wir davon ausgehen, glauben wir, unsere Bedürfnisse einzig auf bestimmte Arten erfüllen zu können. Dann haben wir ein Problem, weil Nachhaltigkeit dann bedeutet, dass wir nicht glücklich sein könnten (mehr dazu hier.)

Die gute Nachricht: Das muss nicht so sein. All diese oben genannten Narrative sind in der Psychologie längst nicht mehr haltbar. Lebensqualität hängt, wenn man nicht hungert usw., von ganz anderen Dingen ab. Vor allem: Gute Beziehungen mit anderen Menschen, Sinn, Natur, die Möglichkeit, sich zu entfalten. Wir Menschen sind sehr soziale Tiere, wenn die Umstände es erlauben. Und wir können verstehen, dass wir Teil eines Ökosystems sind.

Die Transformation zur Nachhaltigkeit ist also in ihrer Essenz eine Transformation unserer Kultur: „How we do things around here.“

Indem wir auf fundierter Basis in diesem Sinne neues kulturelles Erbe schaffen, das andere Geschichten erzählt, schaffen wir eine neue Grundlage. Auf dieser neuen Grundlage kann zukunftsfähiges Handeln geschehen. Und indem diese neuen kulturellen Grundlagen sich im kulturellen Erbe (als Kunstwerke, Jobs, Architektur, Verkehr, Freizeitangebote usw.) verkörpern, werden sie, Schritt für Schritt, in unsere Lebensrealität eingebaut.

Vielleicht ist ein Beispiel dafür Reworked, die eine solche andere Möglichkeit ausprobieren. Das Bedürfnis: Wärme, Sicherheit, Schönheit. Die Strategie: Altes neu zu machen. Wie kommt man von einem zum anderen? Nicht mehr durch die Annahme, dass Nutzung neuer Ressourcen den eigenen Status hervorhebt. Sondern die, dass es schön ist, zu zeigen, dass man Bestehendes wertschätzt.

Hoffnung und Frustration

Was mir von der Diskussion noch stark in Erinnerung blieb, ist diese eigentümliche Mischung aus Stärke und Zuversicht sowie Frustration und Ärger. Zuversicht, weil wir uns einfach weiter bemühen, egal wie die Situation in der Gesellschaft ist. Und Ärger, weil der österreichische Kulturbetrieb oftmals sehr starr und inflexibel ist – und es so viele lokale Projekte gibt, die nicht die Aufmerksamkeit bekommen, die sie haben könnten.

Vom Grundeinkommen bis hin zu verschiedenen Nutzungen des Schönbrunner Schlossparks (inklusive [Spaß-]Protest-Idee für Hundebesitzer*innen „Scheiß auf Schönbrunn“) und der Frage, wie man Institutionen der Hochkultur an Bord gewinnen kann, spannten wir einen weiten Bogen.

Und jetzt...?

Sitze ich hier am Schreibtisch. Die Klimakrise ist nicht gelöst worden. Wir haben nicht das nächste Kunstprojekt geplant, das die österreichische Gesellschaft revolutioniert. Wir haben uns nicht alle auf die Schulter geklopft, sondern waren uns teils auch uneinig.

Aber ich bin um einige Gedanken reicher. Ich durfte Menschen kennenlernen. Kontakte austauschen. Treffen für Gespräche vereinbaren. Mich von anderen inspirieren lassen, die schon so viel umgesetzt haben (ich bin nämlich manchmal gerne in den Wolken der Theorien unterwegs, von denen aus man soo einen weiten Überblick hat – aber wenn es dann darum geht, die Füße auf den Boden konkreten Tuns zu setzen, weiß ich, dass mir Inspiration durch andere nur guttun kann).

Als wir damals, 2021, im Volkstheater Calle ansprachen, hatte ich keine Ahnung, dass ich heute als Mitglied der flourishing society an dieser Konferenz teilnehmen würde. Nie hätte ich vorhersehen können, was sich – durch so viele Schritte dazwischen und gemeinsam mit so vielen anderen Faktoren – daraus ergeben würde.

Ich schätze, es ist nun ebenso. Vielleicht werde ich dies in einigen Jahren lesen und mit dasselbe denken. Vielleicht nicht. Ich finde aber, dass man dem Leben, das viel zu komplex ist, um es zu verstehen, oder vorhersehen zu können, einfach auch Chancen geben muss. Man weiß doch letztlich nie, was sich ergeben wird. Und manchmal ist es schöner, als man erwartet hätte.

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