Mitbringsel vom Stammtisch

Ein persönlicher literarischer Rückblick

Vor einigen Monaten fand unser Stammtisch unter dem Motto Zukunftsgschichtldruckerei statt. An die 30 Personen sind Ende Februar zusammengekommen, um einander von Geschichten und Büchern zu erzählen, die sie auf irgendeine Art & Weise inspiriert haben. 

Mittlerweile ist der Herbst ins Land gezogen, und mit ihm die kürzeren Tage. Also der perfekte Zeitpunkt, um im Café, der Bücherei oder in den eigenen vier Wänden in solche Geschichten und Gedanken einzutauchen - gerade in turbulenten Zeiten wie diesen. 

Ich möchte im Rahmen dieses Blogposts vier solcher Bücher vorstellen, die ich unter anderem im Rahmen des Stammtisches kennengelernt habe und die mich in den letzten Monaten begleitet haben. 

Einige habe ich mit großer Begeisterung, andere mit gemischten Gefühlen gelesen. Sie alle haben aber eines gemeinsam: Sie haben mich dazu eingeladen, Ideen und Gedanken aufzugreifen, mich mit ihnen auseinanderzusetzen, mit anderen darüber zu sprechen und sie haben mich zuversichtlich gestimmt. 

Aus diesem Grund lade ich dich als Leser:in ein, in deinem Bücherregal oder auch in einer Bücherei (die Hauptbücherei Wien ist tatsächlich mittlerweile einer meiner Lieblingsplätze in Wien) in einem der Bücher zu schmökern. Vielleicht findest auch du Inspiration darin, um über die Perspektiven (auch gerne kritisch) nachzudenken und mit anderen ins Gespräch zu kommen.

Momo (Michael Ende)

Gleich zwei Personen hatten beim Stammtisch den Klassiker Momo im Gepäck. Vergangenes Frühjahr habe ich Momo dann gemeinsam mit einer Deutschkurs-Gruppe in einfacher Sprache gelesen, und fand es auch dieses Mal wieder aufrüttelnd und berührend. Mit Momo und mit der Frage, was die Geschichte mit einem erfüllten Leben zu tun hat, haben wir uns auch schon in diesem Blogartikel auseinandergesetzt. 

Momo erzählt die Geschichte eines jungen Mädchens, das zwei Dinge ganz besonders gut kann: Sich Zeit nehmen und anderen zuhören. 

Eines Tages verändert sich etwas in ihrer Stadt. Ominöse graue Herren tauchen auf, die den Bewohner:innen erklären, sie dürften ihre Zeit nicht mehr mit “unnützen Dingen” verschwenden und müssten Zeit einsparen. Momo jedoch erkennt die grauen Herren als das, was sie sind: Zeitdiebe. 

Was das Buch für mich so besonders macht: Es ist eine wunderbare Liebeserklärung an eines der wertvollsten Dinge, die wir haben. Die Zeit. 

Das Buch schärft jedes Mal aufs Neue mein Bewusstsein dafür, wie wertvoll unsere menschlichen Beziehungen sind, und auch die Zeit, die wir miteinander verbringen. Oder um es mit den Worten des Autors Michael Ende zu sagen: 

„Es gibt ein großes und doch ganz alltägliches Geheimnis. Alle Menschen haben daran teil, jeder kennt es, aber die wenigsten denken je darüber nach. Die meisten Leute nehmen es einfach so hin und wundern sich kein bisschen darüber. Dieses Geheimnis ist die Zeit. Es gibt Kalender und Uhren, um sie zu messen, aber das will wenig besagen, denn jeder weiß, dass einem eine einzige Stunde wie eine Ewigkeit vorkommen kann, mitunter kann sie aber auch wie ein Augenblick vergehen – je nachdem, was man in dieser Stunde erlebt. Denn Zeit ist Leben. Und das Leben wohnt im Herzen.“ (Ende 1973)

Echter Wohlstand (Vivian Dittmar)

Apropos Zeit: Im Buch Echter Wohlstand erweitert die Autorin Vivian Dittmar den Begriff Wohlstand um einige immaterielle Perspektiven - Zeit, Beziehungen, Kreativität, intakte Natur und Spiritualität. Haben wir genug Zeit für die Dinge, die uns wichtig sind? Erleben wir unsere Beziehungen als erfüllend? Das sind Fragen, mit denen man sich als Lesende:r auseinandersetzt. 

Eine sehr spannende Lektüre, und doch ein Buch, das ich mit recht gemischten Gefühlen und kritischen Gedanken gelesen habe. Seitens der Autorin hätte ich mir an einigen Stellen einen stärkeren wissenschaftlichen Fokus und eine differenziertere Perspektive auf ihre eigenen Beobachtungen gewünscht, vor allem in Bezug auf das Leben in anderen Ländern, Kulturen und Lebensrealitäten. Auf mich wirkten ihre persönlichen Beobachtungen teilweise “romantisierend”, wenn sie beispielsweise über die “leuchtenden Augen” und Lebensrealitäten kleiner Dorfgemeinschaften oder Südtiroler Bergbauern spricht. Darauf näher einzugehen, würde den Rahmen dieses Blogposts sprengen, und möchte mich daher darauf konzentrieren, was ich beim Lesen für mich mitnehmen konnte. Vielleicht ergibt sich ja bei einem unserer nächsten Stammtische ein Gespräch daraus…

Die Idee des ökologischen Wohlstands hat es mir auf alle Fälle angetan und wird mich noch länger begleiten. Vivian Dittmar deutet in diesem Kapitel auf ganz spannende Weise den Begriff “Verzicht” um und ermutigt dabei gleichzeitig, darüber nachzudenken, wie ökologischer Wohlstand aussieht: Über Straßen, “in denen man sorglos spazieren, spielen, Feste feiern und Gemüse anbauen könnte”, Vogelgesang am Morgen, über Nächte, “in denen man die Sterne sehen” und über Flüsse, “aus denen man trinken kann”. (vgl. Dittmar 2021: 182f.)

Warum machen wir es nicht einfach? (Isabella Uhl-Hädicke)

Das Buch Warum machen wir es nicht einfach  von Isabella Uhl-Hädicke ist jenes, das ich selbst zum Stammtisch mitgenommen habe. Die Autorin ist Umweltpsychologin und setzt sich darin sehr differenziert mit der Frage auseinander, warum wir Menschen oft viel über die Klimakrise sprechen, aber uns nicht dementsprechend verhalten - und zeigt, was es braucht, damit wir ins Handeln kommen. Sie geht dabei auf verschiedene Erklärungs- und Lösungsansätze ein, beispielsweise auf Begriffe wie kognitive Dissonanz oder spricht über die Macht von Gewohnheiten (und dass wir diese aber auch ändern können) - und zeigt, dass soziale Normen nicht in Stein gemeißelt, sondern im Wandel und veränderbar sind.

Was das Buch für mich persönlich so spannend macht: Einerseits macht es nachvollziehbar, dass es nicht eine einzige universelle Patentlösung für alle und alles gibt. Anreize, die eine Gruppe von Menschen dazu motiviert, nachhaltige Entscheidungen zu treffen, haben aus unterschiedlichen Gründen möglicherweise keinen Effekt bei anderen. Uhl-Hädicke verweist dabei immer wieder gezielt auf Studienergebnisse und praktische Beispiele. Gerade dieses wissenschaftliche und praktische Hintergrundwissen schafft ein Verständnis und das Potenzial, Empathie für unsere Mitmenschen zu entwickeln - etwas, das wir als Gesellschaft meines Erachtens so notwendig brauchen. 

Andererseits zeigt die Autorin, dass wir Menschen nicht nur komplexe, sondern auch sehr soziale Wesen, die sich meistens an ihrem Umfeld orientieren - und soziale Normen können “überschwappen”. Umweltbewusste Entscheidungen, die wir treffen, sind nicht umsonst - sie mögen individuell eine kleine Rolle spielen, hinterlassen aber gleichzeitig Eindruck in unserem Umfeld. 

Für Pessimismus ist es zu spät (Helga Kromb-Kolb)

Für Pessimismus ist es zu spät. Ein sehr spannender Titel, den Helga Kromb-Kolb für ihr Buch gewählt hat. Auch dieses Buch habe ich im Rahmen unserer Zukunftsgschichtldruckerei kennengelernt und es mir dann einige Monate später in der Bücherei ausgeborgt. Die Autorin geht sehr ausführlich auf ihre persönliche Geschichte und jene der Natur- und Umweltschutzbewegungen ein.

Hervorheben möchte ich konkret das letzte Kapitel mit dem Titel Eine Vision von 2050, das mich sehr beeindruckt hat. Es ist kein ferner Wunschtraum, den Kromb-Kolb hier zeichnet, sondern eine sehr greifbare, konkrete Vorstellung einer Welt, in der sich vieles zum Positiven entwickelt und weiter im Entstehen ist, ohne etwaige Herausforderungen auszublenden. Sie macht bewusst, dass eine nachhaltigere Welt möglich, erreichbar und umsetzbar ist - und zeigt dabei eindrucksvoll, wie wichtig diese positiven Erzählungen für uns sind.

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Dranbleiben trotz Gegenwind

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