Glimpses of Flourishing: Soziale Normen
Dieser Artikel ist Teil von: “Glimpses of Flourishing – eine Foto-Ausstellung über fundierte Hoffnung” auf der Beyond Growth Conference 2024
Um eine erfolgreiche und nachhaltige Zukunft zu gestalten, ist der erste entscheidende Schritt, sie sich vorzustellen. Oft machen uns pessimistische Narrative blind für das enorme Potenzial einer aufblühenden Gesellschaft. Deshalb haben wir eine Reihe von wissenschaftlich untermauerten, KI-generierten Bildern entwickelt, um neue Narrative sichtbar zu machen - die schließlich zur Basis neuen Handelns werden könnten.
Konzept und Inhalt: the flourishing society
Fotos: Tom Poe (Artists for Future), unterstützt durch KI.
Die Ausstellung wurde finanziert durch das EU-Umweltbüro
Wofür bekommen wir in unserer Gesellschaft Anerkennung und Wertschätzung?
Einen oft übersehenen, aber wichtigen Einfluss darauf, was wir tun und was nicht, übt Anerkennung aus. Welches Verhalten bringt Anerkennung bei Menschen, die einem wichtig sind? Welches Verhalten ist schambehaftet? In seinem viel beachteten Werk The Honor Code. How moral revolutions happen beschreibt Aknin (2010) drei solche Wandlungsprozesse:
Das Ende des Duellierens in England im 19. Jahrhundert
Das Ende der Praxis des Verstümmelns der Füße von Frauen in China, um einem Schönheitsideal zu entsprechen
Die Abschaffung der Sklaverei im britischen Empire.
Diese Veränderungen passierten demnach nicht primär aufgrund überzeugender moralischer Argumente – sondern, weil sich das soziale Klima änderte und das Verhalten nun keine Anerkennung mehr einbrachte, sondern im Gegenteil schambehaftet wurde.
Dieses soziale Klima stabilisiert sich selbst. Beim Einschätzen von Situationen orientieren wir uns zu einem großen Anteil am Verhalten anderer. Wenn zum Beispiel am Land samstagmittags die Sirene getestet wird und läutet, aber alle entspannt bleiben, wird auch eine Person, die das noch nicht erlebt hat, keinen Schutzraum aufsuchen. Bestehende Praktiken werden so normalisiert.
Eine weitere Dynamik, die Systeme stabilisiert, ist funktionale Fixierung. Wenn wir eine Handlungsweise gefunden haben, die zum Erreichen eines bestimmten Ziels halbwegs funktioniert, neigen wir dazu, nicht mehr weiterzusuchen – eine Ressourcen sparender Zugang, der in uns neurologisch veranlagt ist. Dieser Effekt wird auch entrenchment genannt.
Solches entrenchment in bestimmten Handlungsweisen kann auch in Strukturen verkörpert werden. Wir fahren mit dem Auto, also gibt es Straßen, also fahren wir mit dem Auto. Wir arbeiten mit sitzend, also gibt es Büros, also arbeiten wir sitzend. Wir streben danach, mehr Besitz und Status aufzubauen, also gibt es Wirtschaftswachstum und Konkurrenz, also streben wir danach, mehr Besitz und Status aufzubauen.
Somit entsteht eine Abfolge, wie sie auch im berühmten Werk von Meadows (1997) beschrieben wird:
Normen und Werte in einer Gesellschaft…
Informieren soziale Praktiken…
Die dann zu Strukturen werden.
Unser soziales Klima ist geprägt von materialistischen Botschaften, die darauf hinweisen, dass der Weg, Anerkennung zu bekommen, darin besteht, Besitz und Status anzuhäufen und sich in der Konkurrenz mit anderen durchzusetzen. Im ersten Bild dieser Ausstellung (mit dem Werbe-Plakat) haben wir gesehen, dass Materialismus individuelles und gesellschaftliches Wohlbefinden reduziert. Dadurch trägt er maßgeblich zur ökologischen Krise (von manchen als Zivilisationskrise bezeichnet) bei.
Was sind Alternativen?
Wir haben in unserem Bild ein Denkmal dargestellt, in dem das alltägliche prosoziale Verhalten von Menschen gewürdigt wird.
In dieser Studie wurde herausgefunden, dass Menschen häufig prosozial handeln, ohne einen Nutzen für sich zu bedenken (“unculculating cooperation”). Weiters werden Menschen, die dies tun, als vertrauenswürdiger wahrgenommen, als Menschen, die kalkulierend kooperieren.
Dieses Vertrauen scheint eine so wichtige Voraussetzung für menschliches Zusammenleben zu sein, dass es Teil unserer Heuristiken (also ererbter Entscheidungshilfen) ist, dafür Kosten zu riskieren. Vereinfacht gesagt: Wir sind spontan hilfsbereit, weil darauf unser Zusammenleben aufbaut.
Diese Studie untersuchte anhand von über 200.000 Teilnehmenden in 136 Ländern die Effekte von finanzieller Großzügigkeit auf Wohlbefinden und fand durchwegs, dass sie das Wohlbefinden steigert. Daher sehen die Autor*innen diesen Effekt als “psychologische Universalie”.
Diese Erkenntnisse stehen in starkem Gegensatz zur Beobachtung, dass materialistische Einflüsse Wohlbefinden reduzieren (Moldes und Ku, 2020). Dennoch dominieren materialistische Einflüsse unseren öffentlichen Raum und üben einen starken Einfluss darauf aus, wie wir unsere Wirklichkeit konstruieren – und wie wir politische Entscheidungen treffen.
Ein wichtiger Teil der gesellschaftlichen Transformation muss daher sein, zu reflektieren, wofür man Anerkennung bekommt und wofür nicht. Wenn wir das mit Anerkennung belohnen, was uns selbst, unseren Mitmenschen und den Ökosystemen nachweislich guttut, und das nicht mehr mit Anerkennung bedacht wird, was das Gegenteil erreicht, wird der Boden für gesellschaftlichen Wandel bereitet.
Es kann die Transformation zur Nachhaltigkeit daher erleichtern, nicht materialistische Handlungsweisen, zum Beispiel, im öffentlichen Raum sichtbar zu machen. Dadurch kann sich ein Paradigmenwechsel vollziehen, der nicht mehr das übermäßige Anhäufen von Status und Besitz, sondern Beziehungen, Sinn, prosoziales Handeln und andere psychologische Bedürfnisse zur Handlungsgrundlage macht.
Ein gemeinsamer Prozess
Noch effektiver kann dieser Wandel sein, wenn er in einem gesellschaftlichen Prozess gestaltet, anstatt “von oben” verordnet wird. So führen selbst große Firmen Strategieprozesse durch, die ihre gesamte Belegschaft einbeziehen – damit am Ende auch alle diese neue Strategie mittragen.
Ein fiktives Beispiel dafür lieferte Ilya Trojanow in seinem Roman “Tausendundein Morgen”: Das Wandelnde Denkmal. Dieses besteht aus einem Material, das sich beliebig umformen kann. In regelmäßigen Abständen wird von allen abgestimmt, wer oder was im nächsten Zeitraum geehrt werden soll.
In diesem Monat ist es ein Denkmal für alltägliche Großzügigkeit. Was würden Sie für das nächste vorschlagen?
Aknin, L. B., Barrington-Leigh, C. P., Dunn, E. W., Helliwell, J. F., Burns, J., Biswas-Diener, R., ... & Norton, M. I. (2013). Prosocial spending and well-being: cross-cultural evidence for a psychological universal. Journal of personality and social psychology, 104(4), 635. https://psycnet.apa.org/doi/10.1037/a0031578
Jordan J.J., Hoffmann M., Nowak M.A., Rand D.G. (2016): Uncalculating cooperation is used to signal trustworthiness. PNAS vol.113 no.31. https://doi.org/10.1073/pnas.1601280113
Moldes, O., & Ku, L. (2020). Materialistic cues make us miserable: A meta‐analysis of the experimental evidence for the effects of materialism on individual and societal well‐being. Psychology & Marketing, 37(10), 1396-1419. https://doi.org/10.1002/mar.21387
Trojanow, I. (2023). Tausendundein Morgen. Fischer.