Glimpses of Flourishing: Materialismus
Dieser Artikel ist Teil von: “Glimpses of Flourishing – eine Foto-Ausstellung über fundierte Hoffnung” auf der Beyond Growth Conference 2024
Um eine erfolgreiche und nachhaltige Zukunft zu gestalten, ist der erste entscheidende Schritt, sie sich vorzustellen. Oft machen uns pessimistische Narrative blind für das enorme Potenzial einer aufblühenden Gesellschaft. Deshalb haben wir eine Reihe von wissenschaftlich untermauerten, KI-generierten Bildern entwickelt, um neue Narrative sichtbar zu machen - die schließlich zur Basis neuen Handelns werden könnten.
Konzept und Inhalt: the flourishing society
Fotos: Tom Poe (Artists for Future), unterstützt durch KI.
Die Ausstellung wurde finanziert durch das EU-Umweltbüro
Eine Zusammenfassung und Aufbereitung der Publikation:
Moldes, O., & Ku, L. (2020). Materialistic cues make us miserable: A meta‐analysis of the experimental evidence for the effects of materialism on individual and societal well‐being. Psychology & Marketing, 37(10), 1396-1419. https://doi.org/10.1002/mar.21387
Zuerst eine kleine Geschichte
Abendverkehr, die U3 ist voll, aber wir haben noch Sitze ergattert. Während wir fahren, lesen wir in der Zeitung über eine Gruppe Jungunternehmer*innen, die es aus einfachen Verhältnissen “bis ganz nach oben” geschafft hat.
Das Wetter ist sonnig und warm, also beschließen wir, ein wenig zu Fuß zu gehen, bevor wir unsere Freund*innen am Schwedenplatz treffen. Bei der Station Volkstheater steigen wir aus und spazieren über den Heldenplatz. Danach beginnt der Kohlmarkt, die eigentliche Luxusmeile, die die Kärntner Straße noch in den Schatten stellt. Wir gehen vorbei an edlen Fassaden, Plakaten von schönen, glücklichen Menschen mit bunter Kleidung oder Designer-Uhren. “Das habe ich alles nicht.” sage ich. Du weist darauf hin, wie gut all das ist, was wir doch haben.
Später, in geselliger Runde, zeigt uns eine Freundin das neue Handy, das sie kürzlich gekauft hat. “Wie gut die Kamera ist!” ein schönes Erinnerungsfoto entsteht. Woran werde ich denken, wenn ich es sehe?
Nach einem angenehmen frühen Abend, einem der ersten Sommerabende, den wir mit Gesprächen und Getränken verbracht haben, komme ich zu Hause an. Ich sperre die Haustür auf und prüfe noch das Postkastl, bevor ich zu meiner Wohnung gehe. Etwas ist darin. Ich öffne die Tür. Es ist ein neues Mode-Magazin. Aus Gewohnheit nehme ich es mit zu mir.
Materialismus kann erzeugt werden.
Es geht also um eine Vorstellung davon, was Erfolg und Wohlbefinden bedeuten und wie sie erreicht werden können. Diese bestimmte Vorstellung wird zum Teil auf den Konsum von Medien zurückgeführt (z.B., Dittmar, 2008; Kasser, Ryan, Couchman, & Sheldon, 2004; Shrum, Burroughs, & Rindfleisch, 2005). Dabei spielen insbesondere Werbung (wie in unserem Foto), Filme, die eine vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Geschichte erzählen (wie Cinderella und Pretty Woman), sowie Dokumentationen und Reality-TV Shows, welche vom glamourösen Leben reicher Menschen berichten, eine bedeutende Rolle.
Warum eigentlich? Die Autor*innen dieses Papers vermuten, dass diese Art der Wertevermittlung hilfreich für das Entwickeln und Aufrechterhalten von Konsum-orientierten Wirtschaften ist, denn: je mehr Menschen für Produkte und Dienstleistungen ausgeben, desto höher das Wirtschaftswachstum. Dafür wird eine materialistische Vorstellung von Erfolg und Wohlbefinden uns allen nahegebracht.
Die hier vorgestellte Studie hat vorhandene Studien untersucht, die genau dies getan haben: Sie setzten Menschen materialistischen Botschaften aus und maßen dann deren individuelles und gesellschaftliches Wohlbefinden (dieser Unterschied wird noch genauer Erklärt). 27 unabhängige Studien mit insgesamt 3649 Teilnehmenden in verschiedenen Ländern und Kontinenten wurden ausgewertet.
Dabei zeigte sich, dass Materialismus bei den Teilnehmenden auf verschiedene Arten verstärkt werden kann. Das sind unter anderem:
Zeitungsartikel (wie der, den wir in der U3 gelesen haben)
Werbung für Luxusprodukte und Botschaften im eigenen Umfeld (etwa Werbeplakate am Kohlmarkt)
Sich mit unerfüllten materiellen Wünschen beschäftigen (“Das habe ich alles nicht”)
Von den Erlebnissen berichten, wo Besitz einen Vorteil gebracht hat (“wie gut das ist, was wir haben”)
Beschreibungen von Produkten durch Freund*innen (wie die Freundin mit dem neuen Handy, die wir am Schwedenplatz getroffen haben)
Mode-Magazine (wie man sie im eigenen Postfach findet)
u.v.m.
Alle diese Botschaften, zeigte sich in der Studie, sind erfolgreich dabei, Menschen diese Vorstellung von Wohlbefinden und Erfolg im Leben nahezubringen.
Und an dieser Stelle muss ich Sie um Verzeihung bitten. Denn ich habe Sie, ohne vorher Ihr Einverständnis einzuholen, mit Inhalten konfrontiert, die nachgewiesenermaßen ihr Wohlbefinden verringern können. So wie uns das im Alltag die ganze Zeit passiert. Vielleicht verzeihen Sie mir eher, wenn ich versuche, es wiedergutzumachen – denn Bewusstsein ist eine wichtige Voraussetzung für Veränderung. Dazu schauen wir uns diesen Zusammenhang zuerst ein wenig genauer an.
Materialismus ist individuellem Wohlbefinden abträglich.
In der psychologischen Fachliteratur sind schon seit Längerem einige Effekte bekannt, die mit Materialismus zusammenhängen (wobei die bisherige Forschung hauptsächlich Korrelationen untersuchte. Die folgenden Ergebnisse sind ebenfalls Korrelationen). Materialismus hängt zusammen mit:
Verringertem Glücksempfinden und Lebenszufriedenheit
Geringerem Selbstwert
Häheren Raten an Depression, Angststörungen und zwanghaftem Kaufverhalten
Geringerer körperlicher Aktivität
Mehr risikoreichem Verhalten (etwa Konsum von Alkohol und anderen Drogen)
usw.
In der Literatur werden drei mögliche Pfade identifiziert, über die Wohlbefinden und Materialismus (negativ) zusammenhängen. Wir haben sie hier gesondert aufbereitet:
Materialismus ist gesellschaftlichem Wohlbefinden abträglich.
Generell fördern Einstellungen Verhalten, das ihnen entspricht und schwächen Verhalten, das ihnen entgegensteht. Materialismus wird verstanden als "eine Ausrichtung auf Geld und den Erwerb von Produkten, die Status vermitteln, um persönlichen Erfolg und individuelles Wohlbefinden zu erreichen" (siehe oben). Dies fördert Verhalten, das auf selbstbezogenen Nutzen ausgerichtet ist.
Dem entgegen steht auf das Wohl anderer ausgerichtetes Verhalten und auf das Wohl der Ökosysteme ausgerichtetes Verhalten. Dieses wird daher durch materialistische Werte geschwächt.
Entsprechend zeigten frühere Studien:
Dass materialistische Werte mit höherem Auftreten von Dominanzverhalten und rassistischen Vorurteilen zusammenhängen.
Die Definition von Materialismus impliziert auch, dass man mit einer solchen Ausrichtung eher ökonomische Ungleichheit gutheißt – denn nur, wenn es hier Unterschiede zwischen Menschen gibt, kann man einen höheren Status haben als andere.
Materialistische Werte mit geringerem Auftreten von prosozialem und proökologischem Verhalten zusammenhängen. Daher sind Menschen mit materialistische Orientierung auch weniger zu Klimaschutz-Maßnahmen bereit.
Kurz gesagt
Materialismus wird durch Medien (Werbung usw.) erzeugt bzw. verstärkt – vermutlich, um eine konsum- und wachstums-basierte Wirtschaft zu stützen.
Durch Materialismus wird das persönliche Wohlbefinden auf verschiedene Arten reduziert. Da Materialismus eine Coping-Strategie für geringes Wohlbefinden sein kann, kann sich daraus ein Teufelskreis entwickeln.
Durch Materialismus wird selbstbezogenes Verhalten verstärkt und auf das Wohl aller ausgerichtetes Verhalten geschwächt. Dies führt zu Problemen und Instabilität in Gesellschaften und behindert die Transformation zur Nachhaltigkeit.
Umgekehrt bietet diese Erkenntnis eine Chance. Denn mit der Auflösung dieser gesellschaftlich vermittelten materialistischen Orientierung haben wir einen Hebel entdeckt, der Blockaden im Klimaschutz (der in Wahrheit auch Menschenschutz ist) lösen kann. Dadurch wird eine aufblühende Gesellschaft möglich.