Die Sprache des Massensterbens

Die Landschaften sind still geworden. Die Wälder ruhig und leer. Von den insektenbedeckten Windschutzscheiben habe ich nur aus Erzählungen vorgeborener Generationen gehört. Zu lange unerkannt, löst sich der Boden auf, auf dem wir stehen.

Mit dem neuesten Biodiversitätsbericht und der Ernennung von Biodiversitätsforscher Franz Essl zum Wissenschaftler des Jahres 2022 rückt das sechste Massenaussterben – verursacht von einer bestimmten Gruppe von Menschen mit einem bestimmten Lebensstil und der Ausbeutung der Welt, die dieser mit sich bringt – in den Fokus der Öffentlichkeit.

Dieses In-den-Fokus-Rücken geschieht über eine gemeinsame Sprache, die es uns ermöglicht, uns zu verständigen und zu begreifen. Auch sie verdient es daher, in den Fokus gerückt zu werden. Lassen Sie uns exemplarisch den Begriff „Artenschutz“ betrachten.

Das Verb dazu wäre wohl Artenschützen. Also Schützen, qualifiziert durch Arten. Schützen ist etwas Aktives – etwas, das man tut, und ohne dem es ebendiesen Schutz nicht gäbe. Wie eine Leibwache oder auch das Bauen von Deichen zum Schutz vor Hochwassern. Es gibt also etwas oder jemanden, welche eben geschützt werden müssen, und jemanden, der oder die die Handlung des Schützens ausführt. Dabei reagiert Schutz auf Schutzbedürftigkeit, setzt diese voraus, um überhaupt berechtigt zu sein. Diese Schutzbedürftigkeit wird als Eigenschaft dessen verstanden, worauf sich das Wort bezieht. In diesem Fall die Arten.

Würden wir, wenn es um das Verhindert von Vergewaltigungen geht, von Frauenschutz, Kinderschutz oder, seltener aber doch, Männerschutz sprechen? Davon, etwas für (beispielsweise) eine Frau zu tun, etwas Aktives und Bewundernswertes wie die Handlung des Schützens, indem wir sie eben heute mal weniger vergewaltigen?

Die Absurdität wird klar. Es geht nicht um die Frau. Es geht um, meist, den Täter, der seine so großes Leiden verursachende Handlung unterlassen muss. Der Täter, der seine Handlungsweise aufgeben muss. Nicht die Frau, die schutzbedürftig ist und daher geschützt werden muss.

Ebenso wirkt der Begriff Artenschutz, ob absichtlich oder unabsichtlich, als Blendwerk, das davon ablenkt, dass es um °uns° geht. Wir sind es, die damit aufhören müssen, die Welt zu zerstören – und sei es nur, weil wir erkennen, dass wir selbst Teil davon sind.

Statt den Begriff „Artenschutz“ zu verwenden, könnten wir stattdessen von Bewusstsein für unsere Lebensgrundlage sprechen. Von Respekt vor dem Ökosystem. Vom Wahren grundlegender Menschenrechte zukünftiger Generationen (als allererstes das Recht auf Leben). Vom Ende der Zerstörung. Von einem Leben, das geprägt ist vom Wissen um Ursache und Wirkung.

Beispiele wie dieses finden sich zuhauf in der Sprache, die wir in Bezug auf die ökologische Krise verwenden, denn unsere Sprache stammt noch aus den fossilen Jahrhunderten der Ausbeutung. Weitere Beispiele sind Begriffe wie „Umwelt“ und „Klimaschutz.“

Eine neue Sprache zu finden, kann unsere Chancen zu überleben erhöhen, indem diese neue Sprache Klarheit über die Ursachen der Krise, über Lösungsmöglichkeiten und über Potenziale für eine überlebensfähige und lebenswertere Gesellschaft sichtbar machen kann. Sie zu entwickeln kann nur ein gemeinsamer gesellschaftlicher Prozess sein. Dieser aber erfordert Impulsgebende, die ihn ins Rollen bringen und neue Begriffe vorschlagen. Dieser Text ist ein Aufruf an sie, die Bühne zu betreten.

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Klimakrise und Potential – wie passt das zusammen?