Unrealistisch? Naiv? Alternativlos?

In der Klimakrise hören wir viel zu oft, dass Dinge nicht gehen. Wir müssen endlich Lösungen denken lernen!

Wie erzählen wir uns eigentlich vom Klima? Nach drei Jahren bei Fridays for Future haben wir immer noch den Eindruck, mit so einem existenziellen Anliegen wie unserer Zukunft gegen eine Wand anzulaufen: Während der öffentliche Diskurs verschwimmt, unter Beteuerungen, wie „vorbildlich“ man beim Klimaschutz doch sei, ist tatsächlich noch immer erschreckend wenig passiert. Leugnen war gestern, heute verwässert man.

Die Emissionen steigen so munter weiter. Nun, nach Jahrzehnten der Untätigkeit, bleiben uns noch sieben Jahre, um das Ruder herumzureißen. Der neueste IPCC-Bericht zeigt die Dringlichkeit: Ändert sich nichts, ändert sich alles.

Warum ist es dann so schwierig, etwas zu ändern? Worin besteht diese Wand, gegen die wir anlaufen? „Unrealistisch“. „Nicht umsetzbar“. „Naiv“. „Alternativlos“. Das sind Worte, die wir viel zu oft von Entscheidungstragenden hören, wenn wir mit ihnen über den Erhalt unserer Lebensgrundlage sprechen. Dieses Abtun hat einen Namen. Der Historiker Philipp Blom nennt es die Omega-Phase: eine Zeit, in der die bestehenden Geschichten keine Lösungen mehr anbieten, aber neue noch nicht vorstellbar sind. Denn wir interpretieren unsere Erfahrungen auf Basis unserer inneren Geschichten, verstehen sie erst durch diese. Und da stehen wir nun: Mit unseren gegenwärtigen Erzählungen, unserer Sprache und unseren Bildern im Kopf können wir Lösungen der Klimakrise, wie wir sie brauchen würden, oft nicht einmal denken.

Wenn Klimaschutz an der Konkurrenz um den Wirtschaftsstandort scheitert, wenn wir unser Lebensglück im Konsum materieller Waren suchen, wenn wir einander nur als rücksichtslose Egoist:innen sehen, dann ist die Rettung unserer Lebensgrundlage, dann sind nachhaltige und glücklichere Lebensweisen tatsächlich kaum vorstellbar.

Was ist die Konsequenz? Wir brauchen neue Sichtweisen, neue Bilder im Kopf, neue Sprachen. Wir benötigen neue Geschichten. Statt von der Steinzeit könnten wir uns von Lebensqualität erzählen. Statt von Wettbewerbsnachteilen vom Sinn der Arbeit für das Leben. Statt von Konkurrenz vom Wohlwollen füreinander, von der Kooperation, die uns als Spezies erst groß gemacht hat. Und statt von Verzicht können wir vom Gewinn all dessen erzählen, worauf wir jetzt verzichten, wie Zeit, Sinn, Gesundheit.

Ein großes Gespräch

Wer aber wird diese neuen Geschichten erzählen? Werden wir das einzelnen Politiker:innen oder Lobbys überlassen? Wir alle sollten gemeinsam unsere neuen Erzählungen finden. Dazu müssen wir beginnen, miteinander darüber zu sprechen. In diesem großen Gespräch können wir überholte Narrative zur Diskussion stellen und hilfreichere sichtbar und denkbar machen.

Schaffen wir Räume, in denen wir Geschichten erzählen, die Lösungen als möglich zeigen, die verdeutlichen, dass wir alle das Potenzial dafür in uns tragen und dass wir viel zu gewinnen haben. Bieten wir in Gesprächsformaten Raum, um in der Begegnung verschiedener Lebensrealitäten miteinander neue Geschichten zu finden und zu erzählen und als Gesellschaft um das Anliegen unserer Zukunft herum zusammenzukommen – in der Hoffnung, dass endlich der große Diskurs um unsere Geschichten beginnt, den wir jetzt brauchen. Denn die neuen Narrative werden aus vielen Stimmen erwachsen sein, und so ist es nun an uns allen, uns an diesem Diskurs zu beteiligen. Sprechen wir miteinander!


Dieser Text erschien erschien das erste mal in der Print-Ausgabe der Tageszeitung "Die Presse" am 11.03.2022. Hier ist er im Orignal zu lesen. Damals war er auf eine Kooperation zwischen Fridays for Future Wien und dem Wiener Volkstheater bezogen. Für diesen Anlass haben wir ihn daher leicht angepasst.

Zurück
Zurück

Die Klimakrise auf der Bühne

Weiter
Weiter

WENDEPUNKT