Bruch mit der Gewohnheit, Zusammenhalt durch Diskussion
Gerhard Fischbacher ist Familienvater, im E-Bike Handel und in der Softwareentwicklung tätig. 2022 war er Teilnehmer des ersten österreichischen Klimarates der Bürger:innen. Im Interview mit flourishing society erzählt er über die Wichtigkeit von breiter Bewusstseinsbildung, die Macht der Gewohnheit und wie im Klimarat anstelle von Polarisierung Zusammenhalt entstand – eine Erfahrung, die gerade jetzt wichtig ist.
Du warst Teil des Klimarates der Bürger*innen, bei Menschen aus verschiedenen Gruppen aus ganz Österreich Lösungsvorschläge zu verschiedenen Klimathemen erarbeitet haben. Was ging dir durch den Kopf, als du die Einladung zum Klimarat bekommen hast? Hast du dich vor dem Klimarat schon mit den Themen Klima und Nachhaltigkeit beschäftigt?
Mit dem Thema Klima hatte ich mich vorher noch nie so wirklich auseinandergesetzt, obwohl ich schon versucht habe, umweltbewusst zu leben. Das Ausmaß der Klimakrise war mir vorher auch einfach nicht bewusst. Das lag vielleicht auch daran, dass ich jetzt 57 bin und schon die x-te Umweltkrise miterlebt habe: Zu meiner Schulzeit begannen die Seen zu kippen, dann kamen saurer Regen, Waldsterben, Ozonloch. Bei der Flut an Meldungen prasselt irgendwann einfach alles an einem ab – setzt man sich nicht tiefer damit auseinander geht auch das Thema Klima im alltäglichen Katastrophenhagel unter.
Als ich das Einladungsschreiben für den Klimarat der Bürger*innen bekommen habe, war mir trotzdem gleich klar, dass ich mitmachen möchte. Das Modell des Klimarates habe ich noch nicht gekannt, fand die Möglichkeit zur Bürgerbeteiligung aber interessant. Wer will seinen Kindern und Enkeln schon nicht eine bessere – oder mindestens gleich gute – Welt hinterlassen.
Wie ist eure Arbeit im Klimarat genau abgelaufen?
88 Menschen, die repräsentativ aus verschiedenen Alters- und Berufsgruppen aus ganz Österreich ausgewählt wurden, haben sich an 6 Wochenenden getroffen, um gemeinsam zu verschiedenen Klimathemen zu diskutieren und Lösungsmaßnahmen auszuarbeiten. Wir waren dazu in Teams aufgeteilt, die an Handlungsfeldern wie Mobilität, Ernährung oder Industrie gearbeitet haben. Zu den einzelnen Themen gab es immer wieder Vorträge von Wissenschaftlern, die immer für Fragen zur Verfügung standen. Am ersten Wochenende haben uns die vortragenden Wissenschaftler das Ausmaß der Klimakrise sehr plötzlich bewusst gemacht – ich und viele andere waren zunächst ziemlich geschockt.
Bei den ersten Diskussionsrunden war ich noch skeptisch, ob das funktionieren kann, wenn so ein bunt gemischter Haufen an Leuten mit ganz unterschiedlichen Hintergründen zu einem Thema diskutiert. Ob da wohl was rauskommt, hab ich mir gedacht. Doch wir haben uns recht schnell zusammengefunden und wurden von einem großartigen Moderationsteam durch die Diskussionen geführt. Wir haben dabei sehr dialogorientiert gearbeitet: Es wurden keine Mehrheitsentscheidungen getroffen, sondern für jeden Vorschlag konnten leichte oder schwere Einwände formuliert werden. Diese Einwände wurden dann notiert und wiederum in kleineren Gruppen diskutiert. So haben wir fast immer zu einer Lösung gefunden, mit der sich niemand benachteiligt oder übergangen gefühlt hat. Im Alltag führen Diskussionen über solche großen Themen oft zu Polarisierung – es gibt eine Meinung und eine Gegenmeinung, für ein Dazwischen ist wenig Toleranz da. Im Klimarat ist genau das nicht passiert – die Debatte hat uns nicht gespalten, sondern eher zusammen geschworen.
Eine Abstimmung im Klimarat. “Die Debatte hat uns nicht gespalten, sondern eher zusammen geschworen.” © Klimarat, Karo Pernegger
Der Abschluss eurer Arbeit im Rat war ein Maßnahmenpaket mit 93 Forderungen, die an die Politik übergeben wurden. Was ist danach passiert?
Nachdem unsere Forderungen Regierungsvertretern auf Bundes- und Landesebene vorgestellt wurden, kam nicht viel von Seiten der Politik. Nur ein kleiner Teil der Maßnahmen wurde bisher umgesetzt, Gespräche verliefen oft nach dem Schema: “Schön, dass es das gibt, aber da kann man nichts machen”. Dabei wäre es doch ein aufgelegter Elfmeter für die Politik: Lösungsvorschläge werden von einer repräsentativen Gruppe für ganz Österreich ausgearbeitet – die müsste man eigentlich nur hernehmen und umsetzen. Dass das nicht passiert ist, ist natürlich mühsam und enttäuschend. Ich verstehe zumindest nach dieser Erfahrung den Frust der jungen Menschen in der Klimabewegung ein bisschen besser.
Trotzdem ist nach dem Klimarat viel passiert. Die Erfahrung ist an keinem der Teilnehmenden spurlos vorbeigegangen: Jeder hat Änderungen im eigenen Leben vorgenommen, und viele der Kontakte zu anderen Teilnehmenden und den Wissenschafter:innen, die den Klimarat begleitet haben, haben sich gehalten. Fast die Hälfte der Teilnehmenden hat sich in einem Verein zusammengefunden und engagiert sich weiter. Aus Durchschnittsbürgern sind fast Klimaschützer geworden. Das zeigt, dass man wirklich etwas bewegen kann, wenn man die Bevölkerung entsprechend informiert und aufklärt; dass Menschen bereit sind, zu handeln und Maßnahmen mitzutragen. Diese Bewusstseinsbildung ist sehr beeindruckend und für mich vielleicht das wichtigste Resultat des Klimarates.
Wie genau können wir denn etwas bewegen?
Viele klimaschädliche Lebensweisen sind aus Gewohnheit entstanden und Gewohnheit ändert man nunmal nicht so schnell. Kaum jemand wird einfach so vom Verbrenner umsteigen, sein Haus besser isolieren oder weniger Fleisch essen. Schon gar nicht wenn man nicht informiert ist und nicht weiß, wofür man das machen soll. Im Klimarat hatten wir 6 Wochen Zeit, uns mit der Klimakrise auseinanderzusetzen. Diese Zeit werden die wenigsten haben oder überhaupt wollen. Solange in der breiten Bevölkerung kein Bewusstsein für das Thema vorhanden ist, wird auch nichts weitergehen, Besonders wenn die Politik sich weiter vor Vorgaben scheut und an Änderungen auf freiwilliger Basis festhält.
Ich glaube manchmal muss man sich einfach selbst fragen, ob der eigene Lebensstil nicht eigentlich totaler Wahnsinn ist: Wir fahren morgens mit dem Auto in die Firma, mit dem Lift ins Büro, sitzen 8 Stunden vorm Bildschirm, fahren dann mit dem Auto ins Fitnessstudio und setzen uns aufs Fahrrad. Das ist zwar total bescheuert, aber es hat sich halt so als Gewohnheit eingespielt. Bei mir war das genauso. Bis ich damit begonnen habe, mit E-Bikes zu handeln, und mir dachte ich kann nicht Räder verkaufen und die ganze Zeit mit dem Auto fahren. Nach drei Wochen zur Arbeit radeln hat es irgendwann geklickt – plötzlich merkt man, dass man mehr Lebensqualität hat als vorher. Durch’s Radeln habe ich vielleicht etwas Zeit verloren, aber auch einiges gewonnen: Ich habe mich bewegt, konnte am Stau vorbeifahren und bin wesentlich entspannter und stressfreier. Wir sind so sehr auf Zeit sparen getrimmt, aber was macht man dann mit der eingesparten Zeit? Am Abend eine halbe Stunde länger vorm Fernseher sitzen?
Manchmal denke ich mir, wär ich mal lieber nicht im Klimarat dabei gewesen, dann könnte ich jetzt vielleicht ohne schlechtes Gewissen ein unbeschwertes – und weniger nachhaltiges – Leben fortsetzen. Aber die Klimakrise ist nunmal da, und uns läuft die Zeit davon. Man muss nicht immer darauf warten, dass alles gesetzlich verordnet wird. Mit etwas Mut zur Veränderung haben wir auch mit dem eigenen Lebensstil einen großen Hebel und können uns für eine breitere Bewusstseinsbildung in der Gesellschaft einsetzen.
Titelfoto: Klimarat.org